Von Erkelenz nach Tscheboksary

 

Hallo, ich heiße Jan Mathis und war vom August 2013 bis Juni 2014  in Russland. In dieser Zeit lebte ich als Austauschschüler bei einer russischen Gastfamilie in Tscheboksary, einer Großstadt an der Wolga.

Was ich erlebt habe, erfahrt Ihr /erfahren Sie hier:

Kategorien: Alle Mathis

09. Januar 2014, 20:24

Der Geschichte auf der Spur...

Es wird mal wieder Zeit, etwas in meinen Blog zu schreiben. Gestern bin ich für die Ferien relativ früh aufgestanden. Ich wurde nämlich von unserer Geschichtslehrerin um elf Uhr in der Schule erwartet. Mit vier anderen Schülerinnen aus der elften Klasse fuhren wir dann in eins der drei Tierheime in Cheboksary. Dieses liegt am südlichen Stadtrand. Ich wundere mich manchmal wirklich, dass man zwischen den vielen großen Plattenbauten auch ab und zu ein kleines, altes Holzhaus findet, was mit Schnitzereien versehen ist. An den Stadtrand dort schloss sich sofort ein kleines Dorf an mit einer eigenen, kleinen Kirche.
Im Tierheim selbst wurden wir von vielen bellenden Hunden empfangen. Elena Petrowna, die Geschichtslehrerin, erklärte mir, dass die vielen herrenlosen Tiere auf den Straßen ein großes Problem Cheboksarys und anderer russischer Städte seien. Meine Mitschüler verfütterten mitgebrachtes Futter an die Hunde und gemeinsam führten wir sie über das Gelände spazieren. Wir tranken noch etwas Tee, der uns von den Freiwilligen spendiert wurde, und fuhren gegen zwei Uhr wieder nach Hause.
Den ganzen Tag über packte meine Gastfamilie ihre Koffer, da sie nachts nach Ägypten flogen. Ich konnte nicht mitkommen, da der Vertrag mit AFS besagt, dass ich das Land nicht verlassen darf. In der kommenden Woche wohnt meine Gastoma mit mir in der Wohnung.
Heute bin ich auch ziemlich früh aufgestanden. Ich hatte um zehn Uhr Russischunterricht mit Valentina Nasarowna. Sie freute sich sehr, dass ich zum eigentlich freiwilligen Unterricht gekommen war. Neben einem Diktat las ich auch mehrere Texte über amerikanische Studenten in Russland. Nach dem Unterricht trank ich noch etwas Tee gemeinsam mit Elena Petrowna und einigen Schülern, die während der Ferien gekommen waren, bevor wir in die Stadt fuhren. Die Geschichtslehrerin wollte extra für mich eine Führung durch die Stadt machen und so fuhren wir zuerst zur ältesten, noch erhaltenen Straße an der Wolga. Ich erfuhr, dass ein großer Teil der Altstadt durch den gigantischen Staudamm in der Wolga versunken sei und dass diese Straße das letzte Überbleibsel der Altstadt sei. Durch ihre besondere Lage – auf einem Hügel oberhalb der Wolga – war sie von dem Pegelanstieg verschont geblieben. Dort gingen wir auch in die älteste Kirche Cheboksarys, die im 16. Jhd. gebaut wurde, also direkt nach der Christianisierung der Tschuwaschen durch Iwan den Schrecklichen. Die Tschuwaschen waren bis dahin Muslime. Russische Kirchen unterscheiden sich wesentlich von deutschen. Sie besitzen kein eindeutiges Kirchenschiff, sondern sind quadratisch um einen Stuhl, oder so etwas in der Art, aufgebaut. Wären da nicht all diese Bilder von Maria und Jesus, könnte man es auch für eine Synagoge halten. In der orthodoxen Kirche müssen Frauen eine Kopfbedeckung tragen, während Männer dieses nicht dürfen. Frauen, so der Glaube, haben eine dünnere Schädeldecke und müssen sich so vor den „Göttlichen Strahlen“ schützen. Männer hingegen haben eine dickere Schädeldecke, weshalb es diesen „Strahlen“ schwerer fällt, diese zu durchdringen. Deshalb dürfen Männer keine Kopfbedeckung tragen.
Außerdem muss man sich immer, wenn man in die Kirche geht und aus der Kirche rausgeht, drei Mal bekreuzigen. Dabei bekreuzigen sich die Russen nicht von links nach rechts, sondern genau umgekehrt. Insgesamt war es echt ziemlich interessant.
Danach kamen wir noch an dem städtischen Gefängnis vorbei, was etwas heruntergekommen aussah, und gingen dann ins Kunstmuseum. Dort waren einige Bilder von russischen Künstlern ausgestellt. Besonders interessant fand ich aber die Ausstellung über das Meißner Porzellan. Als die Wärterinnen merkten, die uns auf Schritt und Tritt folgten, dass ich Deutscher war, wurde ich sofort angesprochen und auch gefragt, ob ich die russischen Mädchen denn schön fände. Als wir schließlich gingen, hörte ich, wie die Wärterinnen aufgeregt über mich tuschelten. So einen Ausländer sehen sie wahrscheinlich nicht alle Tage.
Auf dem ganzen Weg zurück zur Haltestelle wurde ich von meiner Geschichtslehrerin gnadenlos zugetextet. Ich verstand zwar ziemlich viel, da sie allerdings nur über Geschichte redete und dabei so viele Fakten erwähnte, war mein Kopf ziemlich schnell voll.

Jan Mathis Eckert




03. Januar 2014, 13:59

Frohes neues Jahr!!

Am Montag hatten wir noch einen Schultag, bevor die Ferien anfingen. Ich hatte ein paar Gummibärchen mitgebracht, die ich dann in der Schule verschenkte. Besonders freuten sich die Angestellten in der Schulkantine, die mir dann im Gegenzug auch Süßigkeiten und eine Pizza schenkten. Nach der dritten Stunde versammelten sich alle Schüler von der fünften bis zur elften Klasse in der Turnhalle, wo dann die Schulleiterin die Schüler aufrief, die nur Fünfen in diesem Viertelschuljahr bekommen hatten. Es gab erstaunlich viele. Danach wurden alle Urkunden verteilt, die die Schüler in irgendwelchen Wettbewerben bekommen hatten. Insgesamt wurden sicherlich über fünfzig Urkunden verteilt. Danach wurde ich noch von der Geschichtslehrerin eingeladen, mit ihr und einigen Schülerin Tee zu trinken. Ihre ehemaligen Schülerinnen waren gekommen, wovon eine in Costa Rica studierte. Währenddessen guckten wir uns Videos von der Abschlussfeier an. Es war für mich schon etwas komisch, dass Schüler gemeinsam mit Lehrern Alkohol trinken.
An Silvester konnte ich zum Glück ziemlich lange ausgeschlafen. Nachmittags ging ich mit meiner Gastschwester und meiner Gastoma spazieren. Obwohl es taute, wollte meine Schwester Schlitten fahren. Es war eine ziemliche Sauerei auf den Straßen, da jetzt auch der ganze Dreck wieder zum Vorschein kam.
Danach traf ich mich mit Wanja und dessen Freunden und quatschten etwas. Auf einer Neujahrsparty mit Freunden feierte ich dann ins neue Jahr hinein.

Jan Mathis Eckert




29. Dezember 2013, 18:29

Das olympische Feuer und Väterchen Frost...

Am Freitag nach der dritten Stunde in der Schule versammelten sich die oberen Klassen, um gemeinsam ins Stadtzentrum zu fahren. An diesem Tag sollte nämlich das olympische Feuer in Cheboksary ankommen, was echt eine einmalige Gelegenheit im Leben war. So ging ich gemeinsam mit der elften Klasse zum Trolleybus, der total überfüllt war, da auch alle anderen Schulen ins Stadtzentrum fuhren. Wir stellten uns an eine Straßenkreuzung und warteten. Währenddessen bekamen wir eine „Fackel“ aus Plastik geschenkt, die sogar leuchten konnte. Während wir warteten, beunruhigten mich die Polizisten, die am Straßenrand standen. Es waren ziemlich viele da und sie guckten auch nicht gerade freundlich. Jeder einzelne hatte einen Schlagstock, den er in der Hand hielt. Nach etwas mehr als einer halben Stunde, kam schließlich etwas Bewegung in die Polizisten. Sie kamen näher heran und man sah den ersten Wagen. Es war ein Werbungs-LKW von Coca Cola, da sie ein großer Sponsor der olympischen Spiele sind. Danach sah man endlich den Läufer, der in relativ gemütlichem Tempo die Straße entlang lief. Mir blieb auf jeden Fall Zeit, um genügend Fotos zu schießen. Er wurde von einer Gruppe anderer Läuferinnen und Läufer begleitet. An der Kreuzung hielten sie an und mit dem Feuer wurde die Fackel der nächsten Läuferin angezündet. Die gebrauchte Fackel wurde gelöscht und man konnte Fotos mit dem Läufer machen.
Danach gingen wir wieder zu den Trolleybussen und fuhren nach Hause.
Am Samstag fuhr ich nachmittags gemeinsam mit meinem Bruder auf die andere Seite der Bucht. Dort trafen wir uns mit den anderen AFSlern zum Weihnachtstreffen, das von der Musiklehrerin, bei der ich vor einigen Monaten schon mal war, organisiert wurde. Wir fuhren zu ihr in die Wohnung und wurden dort erst einmal ordentlich mit Piroggen und anderen russischen Spezialitäten durchgefüttert. Danach sollten wir uns gegenseitig Weihnachtskarten basteln, was ich irgendwie ziemlich langweilig fand. Generell ist es ziemlich doof, dass ich, abgesehen von Shota aus Japan, der einzige Junge unter all den anderen Austauschschülerinnen bin. Als Zach, der Amerikaner, mit dem ich am letzten Wochenende geskypt habe, vor drei Jahren hier war, waren hier fünf Jungs! Jetzt muss man sich (für mich) langweilige Mädchengespräche anhören. Kurz gesagt: Ich war froh, als ich wieder gehen konnte!
Heute schlief ich, wie gewohnt, ziemlich lange aus. Schließlich kam meine Gastschwester rein und meinte, dass bald Besuch kommen würde. So zog ich mich langsam an und war ziemlich überrascht, dass jemand an der Wohnungstür klopfte und dass Väterchen Frost und Schneeflöckchen rein kamen (Väterchen Frost ist der russische Weihnachtsmann und Schneeflöckchen ist seine weibliche Begleiterin). Meine Gastschwester freute sich riesig. Ich war aber nicht gerade froh, da ich gerade noch geschlafen hatte und dementsprechend auch ziemlich wild aussah. Wir sollten den beiden Unbekannten den Weihnachtsbaum im Wohnzimmer zeigen, sangen ein Lied und sollten schließlich jeweils ein Gedicht vortragen. Da ich kein Gedicht konnte (zumindest keines, was in meinen Augen lang genug war), holte ich meine Geige und spielte auf ihr etwas vor. Zur Belohnung bekamen meine Gastschwester, mein Gastbruder und ich jeweils einen Rucksack (aus Pappe) voller Süßigkeiten…

Jan Mathis Eckert




25. Dezember 2013, 18:39

In die Schule an Heiligabend...

Ich muss schon sagen, dass ich die Adventszeit und Weihnachten überhaupt ziemlich vermisse. Hier in Russland schmückt man zwar auch fleißig und vor kurzem haben wir auch den Plastikweihnachtsbaum in unserer Wohnung geschmückt. Er war, meiner Meinung nach, aber viel zu überladen mit Kugeln und die elektronische Blink-Beleuchtung konnte auch nicht die Kerzen ersetzen. Aber zumindest gab es einen Weihnachtsbaum…
Obwohl jetzt in Deutschland gefeiert wird, ist bei mir gar keine richtige Feststimmung aufgekommen.
Dazu kam, dass ich an Heiligabend ganz normal in die Schule gehen musste. Heute war in der Schule auch ein besonderer Tag, allerdings hatte es rein gar nichts mit Weihnachten zu tun. Es war nur ein Tag, an dem viele Lehrer aus allen anderen Schulen in die Schule kamen, um sich den Unterricht der verschiedenen Lehrer anzuhören. Valentina hatte mich darum gebeten, einen sehr kurzen Vortrag für die vierte Klasse über mein Haus in Deutschland zu halten. So ging ich in der dritten Stunde zu meiner Russischlehrerin, die schon ziemlich aufgeregt war, angesichts der Tatsache, dass ihre Klasse bald halb mit Lehrern gefüllt sein würde. Auch hier hatten alle Kinder ihre Texte vorher auswendig gelernt und trugen sie meistens fehlerfrei vor den anwesenden Lehrern vor. Ich habe mich, abgesehen von ein paar Fotos, nicht sonderlich darauf vorbereitet und improvisierte einfach. Trotzdem war meine Russischlehrerin von meinem wirklich sehr kurzen Vortrag begeistert und schenkte mir und Elena, die Fragen der Klasse beantworten sollte, Pralinen und einen Kühlschrankmagneten. Sehr nett von ihr…
Danach sah ich bei Geschichte einen Spielfilm, genannt „Sturm auf die Brester Festung“. Ich war der einzige Schüler dort, da meine Klassenkameraden alle eine Arbeit schrieben und so schaltete mir die Geschichtslehrerin diesen Film an. Er handelt davon, wie die Deutsche Wehrmacht am ersten Tag des „Unternehmen Barbarossa“ am 22. Juni 1941 versucht hatte, eine Festung an der deutsch-russischen Grenze einzunehmen, es aber trotz starken Einsatzes der Artillerie nicht schaffte, die Festung mit einem Handstreich einzunehmen. Es ist ein echt interessanter Film.
Den gesamten Nachmittag verbrachte ich damit, meine Familie und Freunde anzurufen, was echt gut tat. Am besten hat mir das Weihnachtsliedersingen via Skype mit meiner Familie gefallen. Abends ging ich relativ früh ins Bett und versuchte, mich nicht zu sehr nach Weihnachten zu sehnen.

Jan Mathis Eckert




25. Dezember 2013, 18:09

Erstes Päckchen aus Deutschland!

Ich habe lange nichts mehr geschrieben und fange jetzt am besten am Samstag an. Als ich wieder eine Probe mit der Gitarrenlehrerin hatte, hatte ich danach sofort zum ersten Mal in meinem Leben auch Gitarrenunterricht. Obwohl es Lehrbücher für den Gitarrenunterricht gibt, will sie mich nicht nach Lehrbuch unterrichten, sondern mir in einem Notenheft meine eigenen Noten aufschreiben. Das ist zwar etwas umständlich, aber dafür muss ich nicht zuerst das Notenlesen durchnehmen, das sonst im Buch drin wäre.
Am Samstag habe ich auch das erste Paket aus Deutschland bekommen. Es wog 13 kg und davon waren 11 kg nur Süßigkeiten! Obwohl meine Eltern in Deutschland extra dafür bezahlt haben, dass das Paket innerhalb von zwei Wochen ankommt, kam es erst nach fast vier Wochen an. Außerdem stand im Internet, dass das Paket eigentlich schon eine Woche vorher in Cheboksary angekommen sei, was allerdings nicht stimmte. Anscheinend hat die Russische Post einige logistische Probleme.​.​.
In dem Paket waren neben den Süßigkeiten auch Backzubehör für Weihnachtsplätzchen, meine Kopfhörer, die ich vergessen hatte, und einige Geschenke. Am Abend baute mein Gastbruder aus den vielen Milka-Schokoladetafeln einen Turm, um das Foto davon stolz seinen Klassenkameraden zu zeigen.
Danach ging ich mit meinem Bruder noch zu einem Konzert. Die Tickets dazu hatte ich von meiner Englischlehrerin geschenkt bekommen, die mich eigentlich danach mit einer ihrer ehemaligen Kolleginnen treffen wollte. Als wir in der etwas abgelegen Konzerthalle ankamen (sie lag am südlichen Ende der Stadt), war aber weit und breit von den Lehrerinnen nichts zu sehen. So setzten mein Bruder und ich uns in den Saal. Das Konzert war, abgesehen von einigen Ausnahmen, recht langweilig. Ein Künstler aus Moskau mit seiner Partnerin aus Moskau trug Gedichte zur Musik vor. Da die Gedichte ziemlich schwierig waren, verstand ich kaum was. Die Frau spielte währenddessen auf einer ziemlich kleinen, elektronischen Domra. Mit ihren Füßen konnte sie Effekte einschalten. So konnte sie einige vorher gespielte Takte aufnehmen und dann abspielen, während sie selbst eine neue Stimme aufnahm. Am Ende kam fast ein gesamtes Orchester dabei heraus. Aber das war auch schon alles Interessante.
Am Sonntag traf ich mich mit Wanja, der der Gastbruder von einem US-
Amerikaner gewesen war, der vor drei Jahren hier war. Es war echt schön, wieder ein vernünftiges Englisch ohne Akzent zu sprechen, da Wanja selbst für ein paar Monate in den Staaten war. Am Abend schrieb ich noch mit eben jenem Amerikaner, der bei Wanja gewohnt hatte. Es war echt interessant, sich mit jemandem auszutauschen, der fast das Gleiche auch schon mal erlebt hat.

Jan Mathis Eckert




20. Dezember 2013, 19:04

Kein Unterricht...

Als ich am Mittwoch in der Schule war, erfuhr ich von der Russischlehrerin der fünften Klasse, dass der Unterricht bei ihr wegen einer Klausur ausfallen würde. Da ich hintereinander zwei Stunden bei ihr hätte, ging ich also nach Hause. Sie hatte mir auch gesagt, dass ich den ganzen Tag zu Hause bleiben könnte. Den Vorschlag nahm ich mir zu Herzen, machte es mir zu Hause gemütlich und las ein Buch. Nach einer Stunde rief mich meine AFS-Betreuerin an, da sie meinen Stundenplan haben wollte. Also ging ich zurück in die Schule und erfuhr dort von der Russischlehrerin, dass die Stunde doch nicht ausgefallen sei, da die Klausur an einem anderen Tag sei. Nach der Mathestunde mit der zehnten Klasse ging ich nach Hause. Ich habe mich echt ziemlich gewundert, dass es mittlerweile taute und der ganze Dreck wieder zum Vorschein kam. Es war mit zwei Grad ziemlich warm und mein Bruder meinte, dass das ja fast Frühling sei, obwohl es fast Neujahr ist. Normalerweise sind zu dieser Zeit hier schon -20 bis -25°C.
Nachmittags spielte ich wieder zusammen mit der Gitarrenlehrerin in der Musikschule und danach mit dem Geigen-Ensemble. Wir probten für ein Konzert an Heiligabend, der ja hier leider kein Feiertag ist.
Am Donnerstag hatte ich nach der Schule wieder Solfeggio. Es war dieses Mal echt irgendwie langweilig und irgendwie versteh ich den Sinn nicht, warum man diesen Theorieunterricht hier in Russland gleich sieben Jahre macht, bis man den Musikschulabschluss hat. Ich saß also zwei Stunden im Raum und schrieb verschiedene Tonleitern auf: von harmonisch über phrygisch bis hin zu lydisch. Wenn man in die Musikschule geht, muss man den Theorieunterricht auch verpflichtend mit dazu nehmen, sonst bekommt man den Abschluss, der für eine spätere Bewerbung bei einer Universität hilfreich ist, nicht.
Heute war in der Schule wieder das Gleiche wie am Mittwoch. Es wurden wieder Klausuren geschrieben, so dass ich von den sonst fünf Stunden nur eine hatte!​! Hier fällt nämlich der restliche Unterricht aus, wenn eine Klasse eine Klausur schreibt. Ich finde, das könnte man in Deutschland auch mal einführen…

Jan Mathis Eckert




17. Dezember 2013, 19:27

Es ist kalt hier!!

Ich bin echt froh, dass ich montags jetzt in der ersten Stunde in die vierte Klasse muss, da ich dort schon eine Viertelstunde eher hätte sein müssen. Stattdessen konnte ich normal um acht Uhr zum Russischunterricht mit Valentina gehen. Mittlerweile ist es echt schon ziemlich kalt draußen. Wenn ich mich nicht irre, waren es gestern -17° C. Das ist schon ziemlich kalt und echt unangenehm mit meinen schwarzen Schuhen. Da mittlerweile an einigen Stellen, begünstigt von Schneewehen, mehr als ein Meter Schnee liegt, muss man echt aufpassen, wohin man tritt. Sonst hat man den ganzen Schnee in den Schuhen. So etwas wie Schneeräumen oder Salzstreuen kennt man hier nicht. So sind alle Wege durch den Schnee Trampelpfade und man hofft, dass man morgens nicht der Erste ist, der durch den Neuschnee stapfen muss. Wenn ein Trampelfpfad allerdings wieder zu eingelaufen ist, besteht die Gefahr, dass es sehr, sehr glatt wird. Und ich habe mich deshalb schon einige Male hingelegt.
Wenn die Straßen dann doch mal geräumt werden sollten, wird der Schnee meist zu riesigen Bergen zusammengeschoben. Diese sind jetzt teilweise schon zwei Meter hoch. Ich bin ja mal gespannt, wie hoch die im März sind.
In der Schule hatte ich gehofft, dass ich mich aufwärmen könnte, aber so war es nicht. Im Klassenzimmer war es richtig kalt, was hauptsächlich an den schlechten Fenstern im Raum lag. Außerdem zog es etwas, obwohl die Fenster ja geschlossen waren. Meine Russischlehrerin erklärte mir, dass sie nur dann neue Fenster kriegen würde, wenn sich genügend Eltern engagieren und auch zahlen würden, wie das der Fall im Klassenraum meines Bruders war. Dort hatte mein Gastvater mitgeholfen, die Fenster einzubauen und auch einen guten Preis rausgehandelt. In Zukunft muss ich mir also für die Russischstunden immer einen warmen Pullover mitbringen. Ich habe schon darüber nachgedacht, mir einen Heizlüfter anzuschaffen oder ihn meiner Russischlehrerin für ihren Raum zu Weihnachten zu schenken.
Die Englischlehrerin, Irina Fjodorovna, die mit uns in Surgut war, teilte mir mit, dass ich am Dienstag einen Test schreiben soll. Das sagte man mir ja sehr früh. Besonders erfreut hat mich natürlich, dass ich für den Test auch noch bezahlen musste. Sehr lustig… Es waren zwar nur fünfzig Rubel (1,​11€), aber trotzdem.
In der Geschichtsstunde war ich echt sehr erstaunt, dass ich fast alles verstand, was die Lehrerin sagte. Das war vorher nie der Fall gewesen, da sie wirklich ziemlich schnell sprach. Sie erzählte uns etwas über den zweiten Weltkrieg und damit verbunden über das Unternehmen „Barbarossa“.
Nach der Stunde fragte sie mich, ob ich für die morgige Stunde noch etwas vorbereiten könnte. Ich hätte ja gerne etwas darüber erzählt, wie in deutschen Schulen über den zweiten Weltkrieg gesprochen wird, aber dummerweise, war in dieser Zeit ja schon der Englischtest.
Als ich nach der Schule nach Hause kam, war ich echt überrascht, dass vor unserer Wohnungstür ein kleiner Kater saß, der mich mit großen Augen anschaute. Er war wirklich noch ziemlich klein und es tat mir echt Leid für ihn, dass er keinen Menschen hatte, der sich um ihn kümmerte. Als ich eine Stunde später nochmal vor die Haustür ging, um den Müll rauszubringen, saß er immer noch da.
Heute ist in der Schule nicht viel passiert. Nach der vierten Stunde schrieb ich wie geplant den Englischtest und bezahlte vorher noch. Auch nachdem ich ihn geschrieben hatte, habe ich den Sinn des Ganzen noch nicht so richtig durchschaut. Konnte man da etwas gewinnen oder war das nur zum Spaß?

Jan Mathis Eckert




16. Dezember 2013, 18:24

"Wir audieren jetzt"

Am Freitag hatte ich von den Stunden wieder einen ziemlich kurzen Schultag. In der Russischstunde von Valentina schrieben wir ein Diktat. Es war relativ lang und ich machte einige Fehler. Trotzdem konnte ich mit meinem Ergebnis zufrieden sein. Dann zeigte ich noch einige Fotos von den Lagern in Surgut und Moskau und dann war die Stunde vorbei. In den beiden Freistunden ging ich zuerst in die Kantine, um mir etwas Essen zu kaufen. Was mir aufgefallen ist: je nachdem, wer mir mein Essen verkauft, ändert sich der Preis. Ich kaufe meistens zwei Brötchen und Tee, da das andere Essen mir etwas unappetitlich aussah. Mal kriege ich das Essen für 15 Rubel (ca. 33 Cent) oder für 17 Rubel (ca. 38 Cent). Essen aus der Kantine ist hier wirklich ziemlich billig, allerdings ist die Hygiene um einiges schlechter als in den Kantinen in Deutschland. In der Spülküche zum Beispiel, in der man das gebrauchte Geschirr abgibt, sammelt sich was auf dem Boden und die meisten Fliesen sind gebrochen. Damit man an den Füßen nicht nass wird, wurden notdürftig Trittbretter ausgelegt. In der Mitte des Raums steht eine alte Industriespülmaschine noch aus UdSSR-Zeiten. Wenn ich die Gelegenheit habe, sende ich noch ein paar Fotos dazu. Naja, so lange das Essen zumindest etwas schmeckt, kann ich damit leben.
In der sechsten Stunde hatte ich wieder Deutsch mit der zehnten Klasse. Gegen Ende der Stunde schrieb die Lehrerin ein Wort an die Tafel und sagte, dass sie jetzt mit der Klasse „audieren“ wollte. Ich sagte ihr sofort, dass es dieses Wort in der deutschen Sprache nicht geben würde. Sie meinte allerdings, dass es das Wort gäbe. So musste ich erst einmal im Online-Duden nachschauen, um ihr beweisen zu können, dass es das Wort wirklich nicht gab. Trotzdem änderte sie das Wort an der Tafel nicht, sondern meinte, das Wort würde es im russischen Deutsch geben. Ich fragte nochmal nach, was sie mit „audieren“ meinte. Es stellte sich heraus, dass es einfach Hören heißt. Beziehungsweise das Lösen von Hörverstehensaufgaben.
Nach der Schule erzählte ich es noch meinem Bruder und er meinte auch, dass es ihm so beigebracht wurde (er hatte ein Jahr Deutschunterricht). Wundert euch also nicht, wenn ihr mal nach Russland kommt und man dann auf einmal vom „Audieren“ spricht.
Am Samstag hatten wir wieder normal Schule und ich hatte nach drei Stunden aus – was für ein Glück. Am Mittag in der Musikschule sprach ich noch einmal mit der Lehrerin und wenn alles klappt, kann ich schon nächste Woche mit dem Gitarrenunterricht anfangen. Leider hatte sie am Samstag keine Zeit für mich. Ich hätte am liebsten sofort angefangen.

Jan Mathis Eckert




12. Dezember 2013, 19:39

Ohne Dokumente geht nichts

Gestern habe ich es endlich geschafft den Bericht für die Schulzeitung fertig zu schreiben. Dafür habe ich mich für eine Freistunde in die Schulbibliothek gesetzt und es fertig geschrieben. Es werden sicherlich einige Fehler drin sein, aber ich hoffe mal, dass es die Lehrerin, die für die Zeitung verantwortlich ist, trotzdem lesen kann. Insgesamt habe ich etwas mehr als drei Seiten geschrieben.
Nach der Schule ging ich in die Musikschule, um dort zusammen mit der Gitarrenlehrerin und deren Schülerin zu spielen. Ich habe mir mittlerweile überlegt, auch Gitarrenunterricht zu nehmen und erfülle damit einen Wunsch eines ehemaligen Musiklehrers aus meiner Schule, der selbst aus Russland kam. Er hat mir vor meinem Austausch immer oft gesagt, dass ich unbedingt Gitarre spielen lernen soll, da man Gitarre zu jedem Anlass spielen kann und auch so viele neue Leute kennenlernt. Ich sagte es also meiner Lehrerin und sie war auch ziemlich begeistert davon, da ich ja auch ziemlich gut auf der Geige spiele. Ich hatte mir vorher schon überlegt in Russland ein zweites Instrument zu lernen und dabei war mir immer mal wieder die Balalaika in den Sinn gekommen. Allerdings könnte ich in Deutschland nicht weiter Balalaika spielen, da es dafür einfach keinen Lehrer bei uns gibt.
Es spricht schon einiges dafür Gitarre zu lernen, da mein Gastbruder zuhause auch eine Gitarre hat und ich so auch üben könnte.
In Russland haben Dokumente einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. So bekommt man eher einen Studienplatz, wenn man viele Urkunden und Zeugnisse hat, auf denen beschrieben ist, was man alles erfolgreich abgeschlossen hat, als wenn man nur ein normales Schulzeugnis vorlegt. Wenn man keine Dokumente vorzuweisen hat, kann man immer noch eine „Bearbeitungsgebühr“ zahlen, die auch bewirkt, dass man schnell einen Platz bekommt. Deshalb ist auch die Gitarrenlehrerin ziemlich wild darauf, mir alle möglichen Urkunden auszustellen, auf denen dann steht, an welchen Konzerten ich schon überall teilgenommen habe. Sie hat sich sogar die Mühe gemacht, eine Urkunde auf Deutsch für das Konzert am Dienstag zu schreiben (sie kann etwas Deutsch), in dem sie sich persönlich und im Namen der Musikschule bei meinem Geigenlehrer in Deutschland bedankt hat. Ich habe den Text dann noch etwas korrigiert und beim nächsten Mal bekomme ich dann eine Urkunde auf Deutsch. Die Urkunden sind selbst auch meistens ziemlich prachtvoll. Auf ihnen prangt die Fahne oder zumindest das Wappen von Russland, manchmal sogar beides. Außerdem ist der Rand sehr verziert.
Auch in anderen Situationen habe ich schon gemerkt, dass Dokumente wichtig sind. Um zum Beispiel mit dem Zug zu fahren, muss man vor dem Eintritt immer seinen Pass vorzeigen, um in den Zug zu kommen, auch um das Ticket zu buchen muss man ihn mitbringen.
Nachdem wir während der Probe alle Stücke durchgespielt hatten, ging ich zur nächsten Probe mit dem Geigenensemble.
Heute hatte ich in der Schule wieder zwei Stunden mit Valentina Russischunterricht. Mittlerweile besprechen wir im Einzelunterricht schon die Adverbialpartizipien, was schon ziemlich komplexe russische Grammatik ist. Trotzdem fällt es mir ziemlich leicht die Sachen zu lernen.
Heute war es draußen mit minus 14°C schon ziemlich kalt. Dazu kam noch ein ziemlich rauer Wind und Schneefall. Zum Glück muss ich bei diesem Wetter nicht länger draußen bleiben, ich glaube, ich würde mir trotz meiner warmen Sachen ziemlich einen abfrieren.
Abends spielte ich noch beim Balalaika-Orchester mit. Als ich dem Lehrer nach der Stunde sagte, dass ich nicht mehr mitspielen wolle, da es mir zu langweilig sei und dass ich wenig Zeit hätte, kam er fast auf Knien zu mir und bat mich, doch zu bleiben. Auch mein Bruder sagte mir abends, dass das Orchester ohne mich wahrscheinlich aufgelöst werden würde.
In Zukunft werde ich dann wohl nicht jedes Mal zum Orchester gehen, sondern nur dann, wenn es etwas Neues gibt, ansonsten gehe ich jedes Mal zu Solfeggio.

Urkunde Konzert.jpg

Jan Mathis Eckert




10. Dezember 2013, 19:34

Wie ein Wanderpokal...

Da Valentina, meine Russischlehrerin, wirklich alle Stunden nachholen will, an denen wir oder sie nicht konnten, hatten wir am Montag zur ersten Stunde Russischunterricht. Für mich kam wieder nichts Neues in der Stunde vor und deshalb bekam ich auch eine Fünf als Note. In der nächsten Stunde hatte ich Russischunterricht mit der sechsten Klasse. Während meine Klassenkameraden wieder ihre auswendig gelernten Gedichte vortrugen, kam die Lehrerin zu mir und meinte, dass ich auch ein Gedicht auswendig lernen sollte. Jeder mag ja von dieser Methode des ständigen Auswendiglernens halten was er will. Wir haben in Deutschland zwar auch manchmal mit der Klasse ein Gedicht auswendig gelernt, aber ob mich das wirklich viel weiter gebracht hat, sei mal so dahin gestellt. Ich finde es hier teilweise etwas übertrieben, wie viele Gedichte die auswendig lernen. Außerdem ist es etwas ungerecht für Kinder, die keine schnelle Auffassungsgabe haben und so immer schlechte Noten für die Gedichte bekommen. Auch die Leiterin von AFS will, dass ich Gedichte auswendig lerne. Also muss ich mich wohl oder übel daran machen, Gedichte zu lernen.
In den nächsten beiden Stunden schrieb ich, da ich Freistunden hatte, an meinem Zeitungsartikel weiter.
Abends hatte ich noch eine Probe mit dem Orchester meines Bruders, danach gingen wir relativ früh schlafen.
Heute konnte ich glücklicherweise eine Stunde länger ausschlafen, da wir heute ein Konzert in der Musikschule hatten.
Um neun Uhr war ich dann in der Musikschule und ich probte wieder zusammen mit dem Balalaika-Orchester. Als der Lehrer gerade aus dem Raum war, kam die Gitarrenlehrerin vorbei und holte mich zu ihrer Probe. Sie meinte zu mir, dass diese Volksmusik meine Intonation zerstören würde und meinte, dass ich dort nicht mehr hingehen sollte. Daran habe ich auch schon gedacht, da diese Stücke einfach nichts für die Geige sind. Zusammen mit ihrer Schülerin übten wir jetzt „Ave Maria“ von Bach. Als wir das Stück zweimal durchgespielt hatten, kam der Lehrer vom Orchester und holte mich zurück. Wir sollten uns umziehen… Damit alles einheitlich aussah, zogen wir uns alle das tschuwaschische Nationalkostüm als Oberteil an. Um zehn Uhr fing das Konzert, oder vielmehr die Konferenz an. Die Musiklehrer aus unserer und aus anderen Musikschulen hielten Vorträge über Musik und ließen zwischendurch mal ihre Schützlinge spielen. Wir waren an dritter Stelle dran und warteten vorher zwanzig Minuten vor dem Saal, was ziemlich langweilig war. Wir spielten unser Stück und wir waren schon im Begriff zu gehen, da kam plötzlich die Frau an, die die Ansagen machte und holte mich nach vorne auf die Bühne. Stolz stellte sie mich ihren hauptsächlich weiblichen Zuhörern vor. Mittlerweile komme ich mir wie ein Wanderpokal vor, der immer rumgereicht wird, was ziemlich nervig sein kann.
Danach ging ich wieder zur Gitarrenlehrerin und wir spielten noch einmal das Stück durch, bevor wir wieder vor dem Saal warteten. Schließlich gingen wir rein. Allerdings konnten wir nicht direkt auftreten, da meine Gitarrenlehrerin sich vorgenommen hatte, auch einen Vortrag zu halten. In ihrem Vortrag ging es darum, wie heilsam Musik sei und was man machen könnte, um Stress und Krankheiten vorzubeugen. Ich erfuhr auch, dass man herausgefunden hatte, dass das linke Ohr eher für Musik empfänglich sei, während das rechte Ohr für die Sprache gedacht sei. Bevor ich ganz und gar einschlief, konnten wir zum Glück noch auftreten. Es klappte alles ganz gut und nach unserem Vorspiel konnten wir nach Hause gehen.

Jan Mathis Eckert



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