Von Erkelenz nach Tscheboksary

 

Hallo, ich heiße Jan Mathis und war vom August 2013 bis Juni 2014  in Russland. In dieser Zeit lebte ich als Austauschschüler bei einer russischen Gastfamilie in Tscheboksary, einer Großstadt an der Wolga.

Was ich erlebt habe, erfahrt Ihr /erfahren Sie hier:

Kategorien: Alle Mathis

08. Dezember 2013, 19:48

Erfolgreich beim Bowlen und wieder die gleiche Oper...

Am Samstag war die Schule für mich, wie jeden Samstag, relativ kurz. Nach drei Russischstunden mit der fünften und sechsten Klasse, half ich noch in der Klasse meines Bruders die Klasse weihnachtlich zu schmücken. Dazu baute ich mit ein paar anderen Klassenkameraden einen Plastikweihnachtsbaum auf. Die Technik stammte noch aus Sowjetzeiten und eigentlich hätte er sich auch gedreht und geleuchtet, aber die Klassenlehrerin vertraute der Technik irgendwie nicht. Dann hängten wir noch jede Menge Lametta, Kugel und andere Sachen an den Baum. Letztendlich war von dem Baum nicht mehr viel zu sehen (das Plastik sah aber auch einfach nur scheußlich aus). Den schön kitschigen Baum stellten wir schließlich in eine Ecke der Klasse. Der Rest der Klasse wurde auch dekoriert. Die besonders talentierten Schülerinnen zeichneten auf Papier kunstvolle Sterne, die dann von den Schülern mit dem Cutter ausgeschnitten wurden. Für meinen Geschmack war die Klasse jetzt viel zu überladen und geradezu kitschig von all dem Schmuck, aber die Russen lieben es ja sowieso etwas kitschiger.
Am Nachmittag hatte ich eine Probe zusammen mit der Gitarrenlehrerin. Wir bereiteten uns für ein Konzert am Dienstag vor, auf dem ich auch zusammen mit dem Balalaika/​Bajan-Orchester auftreten werde. Nach der Probe, bei der die Gitarrenlehrerin mal wieder mich sehr lobte und mir auch sagte, dass sie mir vielleicht einen Geigenlehrer von einer anderen, noch besseren Musikschule organisieren könnte. Da sagt man doch nicht nein…
Danach hatte ich noch eine Probe mit dem Balalaika-Orchester, bei dem mehr als die Hälfte aller Mitspieler gefehlt haben. Mein Bruder war auch nicht da. Er hatte bei der Geschichtsolympiade in der Stadt den 122. Platz bekommen und deshalb war seine Geschichtslehrerin ziemlich sauer auf ihn und drohte damit, ihm sonst eine zwei zu geben. Wenn eine zwei in mehreren Fächern auf dem Zeugnis steht, muss man automatisch die Klasse wiederholen.
Am Abend besuchten wir noch die Familie von dem Freund meines Vaters, der mit uns zusammen in der Banja war. Während sich die Erwachsenen sich unterhielten, gingen wir nach draußen und rodelten von einem Hügel vorm Haus.
Heute habe ich das Ausschlafen mal wieder richtig ausgenutzt. Wie meine Familie auch waren wir bis nach zehn Uhr im Bett und standen dann erst so langsam auf. Mein Gastvater ging auch heute arbeiten und ich verließ mit meinem Bruder um Viertel vor zwei das Haus. Wir hatten uns mit den anderen AFSern aus Cheboksary zum Bowlen verabredet. In Kaskadcity, einem Einkaufszentrum direkt an der Bucht, trafen wir uns. Allerdings hatten wir noch eine Stunde Zeit, da Felizitas die Bahn erst für drei Uhr bestellt hatte. So leisteten wir uns einen kleinen Abstecher zum Mediamarkt. Dieser wirbt im Fernsehen meistens mit dem Slogan „Eins, zwei, wybiraj“ (d.​h. wähl aus!​). Danach spricht ein Mann mit extremem deutschen Akzent russisch und erklärt dabei, wie toll alle Sachen doch bei Mediamarkt wären. Zum Schluss kommt dann noch „Fantastisch Markt – Mediamarkt“. Mediamarkt ist hier wirklich fast genauso wie in Deutschland, selbst die Abteilungen sind gleich. Allerdings ist das Logo nicht in einem kräftigen Rot sondern in einem Lila. Ich dachte zuerst, dass die Farbe einfach nur ausgebleicht sei, aber schließlich wurde mir klar, dass es so gewollt war.
Schließlich gingen wir zum Bowling. Ich hatte heute irgendwie meinen Glückstag. In dem einen Spiel, das wir spielten, schaffte ich vier Strikes (alle Bowls mit dem ersten Wurf) und einen Spare (alle mit dem zweiten). Mit einem deutlichen Abstand gewann ich schließlich mit 119 Punkten. In Deutschland war ich nie so gut im Bowling und hatte vorher nur einen einzigen Strike geschafft.
Nach dem Bowling stiegen wir in den Trolleybus und fuhren zurück zur Schule. Dort trafen wir uns für die Oper, in die wir mit der Klasse gingen. Mit einem gemieteten Bus fuhren wir zum Theater in der Stadt. Wir sahen wieder „Otello“ von Verdi und die Schauspieler hatten sich seit dem letzten, ziemlich enttäuschenden Auftritt nicht verbessert. Meine Klassenkameraden waren auch nicht ruhig sondern quatschten und aßen die ganze Zeit während der Aufführung. Da ich mich langweilte machte ich mit. Aber auch ohne uns herrschte im Zuschauerraum ein ständiges Getuschel. Es war also nicht nur unsere Schuld. Mein Gastbruder meinte nach der Aufführung zu mir, dass er nichts von dem Gesungenen verstanden habe. Das hat mich etwas beruhigt, da ich auch nichts verstanden habe.

Jan Mathis Eckert




07. Dezember 2013, 05:27

Es ist endlich Winter...

Was ich vergessen habe zu erwähnen: Seit mittlerweile 1½ Wochen ist hier endlich Winter. Die Temperaturen liegen mittlerweile bei -7°C und fast jeden Tag schneit es. Das erklärt auch die 30 cm Schnee, die wir schon haben. Russland im Winter ist einfach wesentlich schöner als im Herbst. Jetzt ist nicht mehr alles grau und dreckig, sondern ist von einer Schicht Schnee bedeckt. Außerdem werden die Anziehsachen und die Schuhe nicht so schnell dreckig, wenn man draußen spazieren geht. Der Winter hat doch seine Vorteile.
Nach der Schule am Donnerstag machte ich gemeinsam mit den Zehntklässlern eine Schneeballschlacht. Irgendwie mögen die kleinen Kinder aus den unteren Klassen mich: Ich bekam von ihnen die ganze Zeit große Schneebälle geschenkt. Sehr praktisch… Als mir dann irgendwann kalt wurde, was auch daran lag, dass meine schwarzen Schuhe nicht unbedingt für den russischen Winter geeignet sind, ging ich nach Hause. Dort musste ich mich erst einmal aufwärmen, aber zum Glück läuft die Heizung schon auf Hochtouren. Die Heizung wird hier zum Glück, im Gegensatz zum Warmwasser, nie im Winter, sondern nur im Sommer ausgestellt. Zudem gibt es an allen Heizkörpern keine Regler und deshalb gibt es nur eine Heizstufe. Je nachdem, ob das Fenster dabei auf ist oder nicht, kann man aber die Temperatur im Raum ziemlich gut regeln. Umweltfreundlich ist das zwar nicht, aber die Russen haben ja genug Gas und Öl.
Ich war in der Schule noch einmal von Valentina angesprochen worden, dass ich unbedingt den Zeitungsartikel für die Schülerzeitung noch schreiben sollte. Also setzte ich mich dran. Ich war echt überrascht, wie viel ich schon schreiben konnte.
Abends ging ich zusammen mit Gera in die Musikschule,​um dort im Balalaika/​Bajan-Orchester zu spielen. Irgendwie verstand der Lehrer nicht so richtig, dass es einen Unterschied zwischen einem Bajan (einer Art Akkordeon nur mit Knöpfen) und einer Geige gibt. So wollte er zum Beispiel, dass ich das Staccato extrem kurz spiele. Das konnte ich aber nicht, da die Töne aufgrund des Bogens immer eine Mindestlänge haben und es irgendwann nicht kürzer geht. Außerdem wollte er, dass ich in einem Stück eine chromatische Tonleiter ganz schnell spiele, auch das war extrem schwierig, da ich ja keine Knöpfe auf der Geige habe.
Wieder zuhause, schrieb ich noch etwas an meinem Artikel und ging dann schlafen.
Gestern hatte ich in der Schule gleich zwei Stunden mit Valentina. Sie gab mir einen Test und sagte mir dazu, dass das einer der schwierigsten Tests für die Amerikaner wäre, die in Cheboksary gewesen sind. Für mich war er relativ einfach und meine Lehrerin war mal wieder ziemlich zufrieden mit mir. Im Gegensatz zu den Stunden, bei denen Elena (Italienerin) dabei ist, sprachen wir ausschließlich auf Russisch und ich beantwortete Fragen zu Texten u.​a. Wäre Elena dabei gewesen (ich habe keine Ahnung, wo sie war), hätten wir die Fälle durchgenommen, die ich ja schon kann. Ich bin vom Lernstoff gerade bei den Partizipien und deren Kurzformen, die in Russisch ziemlich kompliziert sind.
Im Russischen haben alle Wortarten eine unterschiedliche Endung und ausgerechnet die Partizipien und auch die Verben im Passiv haben die Endung eines Adjektivs. Alles ziemlich verwirrend, aber ich bin optimistisch, dass ich das irgendwann auch noch lerne.
Nach diesen Stunden ging ich noch zur Deutschstunde mit meinen Kameraden aus der zehnten Klasse. Zum Lernstand: Sie nahmen gerade die Uhrzeit durch… Ich konnte mir bis dahin überhaupt nicht vorstellen, wie man wohl Deutsch hier unterrichtet. Es wurden Verben konjugiert und da gab es natürlich einige Fehler, sogar bei der Lehrerin, als sie nachher mit mir sprach. Sie wollte von mir, dass ich einen 15 (!​!​) minütigen Vortrag auf Deutsch für ihre Klasse über Deutschland vorbereite. Bei dem jetzigen Lernstand kann ich mir aber nicht vorstellen, wie die das verstehen sollen. Außerdem weiß ich nicht, was ich in fünfzehn Minuten alles sagen soll. Aber wenn ich sehr langsam spreche, kann aus einem normalerweise fünfminütigen Vortrag schon locker das Dreifache werden. Zum Glück habe ich dafür noch etwa Zeit und muss das erst im Januar nach den Ferien machen.
Wie die Leiterin vom Orchester „Kammerton“ gestern gesagt hat, ging ich nachmittags in die Schule. Allerdings war dort keiner aus dem Orchester. Ziemlich komisch alles, also ging ich wieder zurück. Ich kann echt froh sein, dass ich so dicht neben der Schule wohne und nicht noch mit dem Trolleybus oder der Marschrutka durch die halbe Stadt fahren muss. Sonst wäre das noch viel ärgerlicher.

Hörprobe-Deutschunterricht.m4a

Jan Mathis Eckert




04. Dezember 2013, 18:57

Getrockneter Fisch ist nicht für jeden etwas...

Ich habe lange nicht mehr geschrieben und in eineinhalb Wochen ist viel passiert. In der letzten Woche hatte ich ziemlich viele Termine in der Schule und ich sollte am Mittwoch (27.​11.​) in der offenen Stunde meiner Russischlehrerin in der sechsten Klasse helfen. Dafür hatte ich schon am Samstag zuvor mit der Klasse einen kleinen Tanz geübt. Ich sollte vortanzen und die Klasse nachtanzen. Ich war ziemlich überrascht, als mich die Lehrerin fragte, ob ich das auch in der offenen Stunde machen könnte. Aber als Austauschschüler macht man halt schon ziemlich viele verrückte Sachen, auch wenn man sich dabei zum Affen macht. So nahm ich einfach einen etwas umgewandelten AFS-Tanz aus Surgut und machte es vor. Es war echt ziemlich witzig. Als ich es schließlich in der offenen Stunde vormachte, waren die Lehrerinnen, die zuschauten auch begeistert. Im Gegensatz zur letzten „offenen Stunde“, bei der wirklich alles vorher schon akribisch geprobt war, war diese Stunde diesmal ziemlich spontan und die Lehrerin stellte auch Fragen, die die Kinder noch nicht kannten. Der eigentliche Zweck dieser „offenen Stunde“ ist, dass Lehrer aus anderen Schulen den unterrichtenden Lehrer prüfen und ihm auch Noten dafür geben. Meistens wird dann im Vorhinein schon alles geübt, um die eigenen Schüler möglichst gut darzustellen. Aber es gibt doch einige Lehrer, die es etwas genauer mit der Wahrheit nehmen.
Nach der Stunde bedankte sich meine Lehrerin auch ganz herzlich bei mir und fragte mich, ob ich denn nicht mit der achten Klasse, in der ja mein Bruder lernt, ins Theater gehen wolle. Ich überlegte erst etwas, da ich mir noch nicht sicher war, aber sagte schließlich doch ja.
Den Rest der Woche ist im Groben und Ganzen nichts Großartiges passiert. Am Sonntagabend ging ich gemeinsam mit meinem Gastvater, dessen Freund und meinem Bruder in die Banja. Diesmal hatten wir aber kein eigenes Haus, in dem die Banja untergebracht war, sondern waren in einem Haus in der Stadt, in dem es mehrere Banjas gab. Sie war zwar nicht so gemütlich wie beim letzten Mal, dafür hatten wir aber einen größeren Pool, was auch nicht schlecht war. Wir aßen wieder getrockneten Fisch und Käsechips (alles ziemlich typisch russisch) und gingen zwischendurch in die Banja.
In der Nacht danach, wachte ich um 3 Uhr auf und mir ging es auf einmal ganz schlecht. Ich musste mich übergeben und hatte Durchfall. Ich glaube, das lag zum Teil auch an dem Fisch, der mir auch irgendwie nicht geschmeckt hatte. Die nächsten beiden Tage verbrachte ich zuhause und wurde sehr fürsorglich von meinem Vater betreut. Ich bekam Kefir mit besonderen Bakterien für den Darm und etwas Medizin und es half wirklich.

Jan Mathis Eckert




25. November 2013, 11:42

Oper auf Russisch

Gestern bekam ich die Ergebnisse der Olympiade vom Donnerstag: ich war auf dem 29. Platz von 180 Teilnehmern aus der elften Klasse. Mit meinem Ergebnis war ich überhaupt nicht zufrieden, da ich wusste, dass ich es wesentlich besser hätte machen können. Als ich aber die Punkteverteilung sah, wurde mir klar, warum ich so wenige Punkte hatte. Die Gewichtung ist in Russland einfach eine ganz andere als in Deutschland. In Deutschland kommt es auf den Inhalt, die Grammatik und das Ausdrucksvermögen an. Hier in Russland kommt eher auf die äußere Form von Aufsätzen an und wie lang sie sind. Der Brief, den ich schreiben sollte, sollte zum Beispiel 50 bis 60 Wörter lang sein. Wenn die Anzahl der Wörter mehr als 10 Prozent von den Vorgaben abwich, bekam man keine Punkte für den Brief. Außerdem sollten alle formellen Sachen beim Brief eingehalten werden und die unterscheiden sich hier ziemlich von den deutschen. So wird hier zum Beispiel die Adresse ganz anders angegeben und, so sagte man mir, würden die Wörter in der Adresse auch mitgezählt werden – ziemlich seltsam also. Eigentlich hätte ich mit meinen Platz auch noch zur zweiten Runde gehen können, die dann eine mündliche Prüfung wäre. Mir kam es aber ziemlich unwahrscheinlich vor, vom 29. auf den 5. Platz zu kommen (um sich für die nächste Stufe zu qualifizieren) und so ging ich dort nicht hin.
Um zwölf Uhr hatte ich wieder eine letzte Probe mit dem Orchester „Kammerton“, bevor wir auf der Jubiläumsfeier meiner Schule auftraten. Wir fuhren zuerst mit der Marschrutka und unseren Instrumenten zum Palast der Kultur, um dort unsere Sachen aufzubauen. Wir probten noch nicht, sondern hatten erst einmal eine Stunde Pause. Ich ging mit der anderen Geigenspielerin, Marina, ins Café und wir unterhielten uns etwas über die Unterschiede zwischen Russland und Deutschland im Bereich der Musik. Sie meinte, dass es ziemlich wenige Musikstudenten hier in Russland gäbe und dass der Job auch schlecht bezahlt wäre.
Um zwei Uhr gingen wir wieder zurück und spielten einmal unsere Stücke durch. Erst jetzt erfuhr ich, dass wir die Stücke eigentlich auswendig vorspielen sollten, was mich ziemlich überraschte. Zum Glück konnte ich meine Lehrerin davon überzeugen, dass ich die Stücke noch nicht auswendig konnte, und so konnten wir mit Noten spielen. Jetzt gab es nur das Problem, dass wir keinen Notenständer hatten und so nahmen wir als Ersatz einfach ein Xylophon, um die Noten draufzulegen. Das ist mir auch gestern auf meinem Solokonzert aufgefallen: Hier ist es echt ein Glücksfall, wenn man einen Notenständer findet. Gestern musste ich mich mit einem ziemlich niedrigen Stuhl begnügen, was ziemlich unbequem war. Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wenn ich mir meinen Notenständer aus Deutschland mitgebracht hätte. Um kurz nach vier Uhr fing die Jubiläumsfeier an. Zuerst wurden ziemlich viele Reden gehalten und alte Lehrer aus der Schule auf die Bühne gerufen, die dann wieder Reden hielten. Das Thema, das sich durch alle Reden zog, war, dass Bildung sehr wichtig sei und das viele Schüler aus unserer Schule jetzt bekannte Personen der Öffentlichkeit waren. Dann konnten wir endlich vorspielen. Die Feier lief mittlerweile mehr als eine Stunde und der erste Teil (von drei Teilen) war immer noch nicht zu Ende. Ich ging aber schon, da bald die Oper anfing.
Die Vorstellung lief bereits, als Marina und ich im Theater ankamen. Allerdings hatten wir noch nichts verpasst, da zuerst eine Rede vom Kulturminister (der Republik) gehalten wurde. Nach einigen Minuten ging dann der Vorhang auf und die Oper „Otello“ von Verdi fing an. Ich habe am Anfang erst überhaupt nicht das Konzept der Oper durchblickt, da alles natürlich auf Russisch war und da gesungenes Russisch für mich noch unverständlich war.
So lauschte ich dem teilweise ziemlich schiefen Orchester und den Sängern, die auch teilweise den Ton nicht trafen. Am schlimmsten von allem waren aber die Stellen, an dem das Cello ein Solo hatte. Die Cellistin rutschte dann wie wild mit ihren Fingern auf dem Griffbrett rum und verfehlte fast immer die Töne. Ich war echt zu verwöhnt von den wunderbaren Theatervorstellungen im Meininger Staatstheater. Die Pause dauerte gerade mal zehn Minuten und ich hatte echt Probleme, meine Sprite auszutrinken und dann wieder pünktlich in den Saal zu kommen. Während ich bei der ersten Hälfte der Oper teilweise eingenickt bin, weil nichts Großartiges auf der Bühne passierte, erlaubte während der zweiten Hälfte meine Sitzposition dies nicht. Wir setzten uns in den ersten Rang, weil wir dachten, dass hier womöglich die Sicht besser wäre. Es war aber nur noch Platz in der ersten Reihe und bald merkten wir auch, warum dort keiner sitzen wollte: Die Brüstung war einfach zu hoch und zu weit vorne. So musste ich mich schon ziemlich weit nach vorne beugen, um etwas zu sehen. Neben mir saß ein junger Mann, der während der Vorstellung ein Buch las (die Seiten beleuchtete er dabei mit seinem Smartphone). Ich fragte mich, warum er überhaupt zu der Vorstellung gekommen war. Auch sonst hörte man immer wieder, wie Leute sich ziemlich laut unterhielten. Insgesamt war ich von der Oper ziemlich enttäuscht. Es hat mich auch nicht gewundert, warum der Saal auch nicht sonderlich voll war, sodass in fast jeder Reihe ein Drittel der Plätze nicht belegt war. In Meiningen war immer alles voll und wenn man nicht rechtzeitig buchte, konnte man höchstens ein paar Plätze im dritten Rang ergattern.

Jan Mathis Eckert




23. November 2013, 16:44

Viele Termine an nur einem Tag

Am Donnerstag fand die Englischolympiade auf Stadtebene statt. Alle Schüler, die sich für die zweite Runde qualifiziert hatten, darunter auch ich, trafen sich um 7:​45 Uhr in unserer Schule und fuhren dann gemeinsam mit dem Trolleybus zum vierten Gymnasium im Stadtzentrum. Dort mussten wir uns zuerst anmelden und auch unseren Pass vorzeigen, was in Russland anscheinend so üblich ist. Zum Glück hatte ich ihn eingepackt, nachdem mein Bruder mir den Tipp gegeben hatte. Jeder Teilnehmer bekam eine Teilnahmenummer zugeteilt und wurde in einen bestimmten Klassenraum geschickt. Es sollten immer zwei unterschiedliche Klassen zusammen schreiben. Bei mir war es die elfte und die siebte Klasse. Dann wurden uns die Aufgabenbögen ausgeteilt und die Olympiade begann. Zuerst wurde der Hörverstehen-Teil für die Siebtklässler abgespielt, was mich ziemlich störte, da ich eigentlich schon mit den anderen Aufgaben anfangen wollte. Nach einer Viertelstunde wurde endlich der Teil für die Elftklässler abgespielt. Als ich alle Aufgaben gelöst hatte und als wir nur noch fünfzehn Minuten Zeit hatten, fiel mir ein anderes Aufgabenblatt auf, das ich vorher noch gar nicht gesehen hatte. Ich sollte eine Geschichte zu einem Bild mit mehr als 220 Wörtern schreiben. Ich fing sofort an und schrieb irgendetwas, was mir gerade in den Kopf kam. Als ich abgegeben hatte, ging ich nach Hause. Auf dem Rückweg traf ich Sonya, die in Amerika gewesen war. Ich erzählte ihr von meinem Test und was ich alles geschrieben hätte. Ich erfuhr von ihr, dass ich einen Aufsatz gar nicht hätte schreiben müssen und als ich auf dem Aufgabenblatt nachguckte, sah ich auch, dass in ziemlich kleiner Schrift darüber geschrieben war, dass es sich nur um ein Beispiel handelte. Ich hatte also mehr als eine Stunde damit verbracht, einen sinnlosen Aufsatz zu schreiben, was mich ziemlich aufregte.
Zuhause machte ich mir erst einen Tee und beruhigte mich wieder.
Um 14:​20 Uhr traf ich mich in meiner Schule mit zwei Schülerinnen, die gemeinsam mit mir zum „Haus des kindlichen Schaffens“ gingen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das eine Art Jugend- und Kinderzentrum. Dort war eine kleine Feier angesagt, zu der auch die anderen Austauschschüler aus der Stadt eingeladen waren. Wir wurden herzlich willkommen geheißen in Cheboksary (obwohl wir schon drei Monate hier sind) und bekamen wieder das traditionell russische Brot mit Salz zu essen. Mitten während der Aufführung wurde ich von meiner Lehrerin vom Orchester „Kammerton“ in der Schule angerufen. Sie sagte mir, dass ich unbedingt zur Generalprobe kommen müsste, da am Freitag ja das Konzert sei. So ging ich also während der Vorführung wieder zurück zur Schule. Vorher ging ich noch kurz zuhause vorbei und holte meine Geige ab. Während der Probe lernte ich auch noch die Tochter meiner Musiklehrerin kennen, die Musik studierte. Sie spielte in etwa so wie ich, was mich ziemlich wunderte, da sie Musik ja studierte. Ich wurde von ihr auch eingeladen, in die Oper zu gehen. Vor ein paar Wochen habe ich meine Lehrerin gefragt, ob es hier die Möglichkeit gäbe, ins Theater zu gehen. Deshalb nahm ich das Angebot gerne an, da es für mich auch kostenlos war.
Nach der Probe ging ich sofort zu Felizitas weiter, da ihr Vater mich gebeten hatte, bei einer Betriebsfeier seiner Firma Geige zu spielen. Ulli war auch da und so fuhren wir zu dritt ins Stadtzentrum in ein Café, wo die Feier stattfinden sollte. Ich wusste vorher noch nicht, was ich spielen sollte, entschied mich dann aber für einige einfache Stücke, die ich aus dem Orchester kannte. Die Zuhörer, die schon leicht angetrunken waren, waren begeistert. Danach bekam ich auch noch etwas zu essen und dann wurde ich nach Hause gefahren.

Jan Mathis Eckert




23. November 2013, 15:09

Endlich das Visum verlängert!

In der letzten Woche ist ziemlich viel passiert. Am Montag ging ich zum ersten Mal seit zwei Wochen wieder in die Schule und sofort wurde ich von allen Lehrerinnen ausgefragt, wo ich denn gewesen sei. Sie dachten, ich wäre wieder in Deutschland, weil ich nicht da war. Zum Glück konnte ich erklären, dass ich nur krank gewesen sei und dass ich auch nicht vorzeitig nach Deutschland zurückgeflogen sei. In den ersten beiden Stunden hatte ich Literatur und Russisch mit der vierten Klasse. Wie gewohnt trugen die Kinder bei Literatur mehr oder weniger gut auswendig gelernte Gedichte vor und bekamen dafür Noten. Am Ende der Stunde lasen wir noch nacheinander in Abschnitten ein russisches Märchen. Das ist noch ein Unterschied zum deutschen Schulsystem. Hier liest man mindestens bis zur sechsten Klasse (in den höheren Klassen war ich bei Literatur noch nicht) hauptsächlich russische Märchen oder Gedichte. Danach werden dann Fragen zum Gedicht in einem kleinen Test beantwortet. Sowieso werden hier viel häufiger Noten vergeben und die Hausaufgaben eingesammelt als in Deutschland. Nach der fünften Stunde ging ich gemeinsam mit Xjuscha (Gastschwester von Elena) in die Stadt, um dort mein verlängertes Visum abzuholen. Wir waren zu früh da und so schlug Xjuscha vor, dass wir doch ins Biermuseum gehen könnten. So gingen wir runter zur Bucht, wo sich das Museum befand. Besonders gespannt war ich auf die Ausstellung über deutsches Bier. Ich war ziemlich enttäuscht, als wir dann rausgeschickt wurden, weil es anscheinend zu voll war.
Um Punkt zwei Uhr musste wir im Migrationsbüro dann unsere Pässe abgeben, in die dann die Visa geklebt wurden. Danach konnten wir wieder nach Hause gehen.
Am Dienstag war die Geschichtsstunde eine sogenannte offene Stunde. Dabei schauten Lehrer von unserer und von anderen Schulen unserer Lehrerin beim Arbeiten zu. Das Thema der Stunde waren die ersten Jahre der Schreckensherrschaft unter Stalin (1924-1933). Am Ende der Stunde, so hatte es mir die Geschichtslehrerin vorher gesagt, sollte ich sagen, was wir Deutschen über diese Zeit wüssten und was wir für eine Meinung davon hätten. Bei uns im Geschichtsunterricht wurde das Thema noch nie behandelt und auch an anderen Schulen wird es, wenn überhaupt, nur angekratzt. Also erzählte ich, dass dieses Thema bei uns im Geschichtsunterricht überhaupt nicht besprochen werden würde, dass ich aber gerne mehr darüber erfahren würde. Dann erzählte ich noch kurz etwas über die Schreckensherrschaft und die millionen Toten. Damit war meine Lehrerin mehr als nur zufrieden und sie bedankte sich dafür nach der Stunde bei mir.
Am Mittwoch wollte meine AFS-Betreuerin nach Literatur in der vierten Klasse mit mir sprechen. Sie sagte mir, dass jetzt, Mitte November, die sogenannte „Down-Phase“ bei allen Austauschschülern anfangen würde, in der man Heimweh habe und depressiv sei. Das sei das genaue Gegenstück zur anfänglichen Begeisterung für alles. Ich habe das bei mir selbst schon gemerkt, dass ich nicht mehr so ganz motiviert bin, aber Heimweh habe ich noch lange nicht. Dann erzählte sie noch von einigen Austauschschülern, die den ganzen Tag geschlafen haben und von Mädchen, die oft geheult haben. Aber zum Glück gehe das nach einem Monat wieder alles weg und man würde sich richtig eingelebt haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das bei mir auch so schlimm wird. Ein bisschen Demotivation kann schon vorkommen, aber das habe ich auch manchmal in Deutschland.
Nachmittags ging ich zur gemeinsamen Probe mit der Gitarrenlehrerin und sie sagte mir, dass sie mich mit einem ihrer Schüler zu einem Wettbewerb schicken wollte. Sonst bin ich ja eher faul, aber da die Russen ja sowieso nicht so gut in Musik sind und ich eine beträchtliche Chance habe zu gewinnen, mache ich mal mit.
Danach hatte ich noch kurz eine Probe mit dem Geigenensemble, bei der ich noch eine Urkunde vom Konzert in der vorletzten Woche bekam und dann ging ich nach Hause.

Jan Mathis Eckert




19. November 2013, 19:00

Eine Woche krank zuhause

Am Dienstagmorgen konnte ich länger ausschlafen, da meine Englischlehrerin mir im Zug noch gesagt hatte, dass ich nicht in die Schule bräuchte. Als ich aufwachte, war es schon fast zwölf Uhr. Meine Gastmutter war heute zuhause geblieben, da sie das Wohnzimmer und das bisher unbenutzte Zimmer nach hinten renovieren wollte. Als mein Bruder nach Hause kam, war sie mit ihrer Mutter und einer ihrer Freundinnen schon fleißig am Tapeten abziehen. Ich half auch mit, allerdings fühlte ich mich nach einer halben Stunde auf einmal ziemlich schlecht und ich legte mich in mein Bett. Ich hatte Kopfschmerzen und als ich am Abend auf Drängen meiner Gastmutter meine Temperatur maß, hatte ich leichtes Fieber. Meine Gastmutter schickte mich nach einem warmen Tee und einigen Tabletten sofort ins Bett. Am nächsten Morgen war das Fieber weg, als ich es maß. Vorsichtshalber zog ich meine dicken Stricksocken, die mir mein Gastvater in die Hand gedrückt hatte, nicht aus, was auch gut war, da ich schon zwei Stunden wieder Fieber hatte. Ich verbrachte also den Tag im Bett und lernte derweil meine russischen Vokabeln, die ich im Zug eingegeben hatte. Nachmittags gab mir mein Bruder meinen PC und ich durfte mir da drauf Harry Potter ansehen. Allerdings waren danach meine Kopfschmerzen noch schlimmer und ich wollte mich sofort hinlegen. Da wollten meine beiden Gastgeschwister aber nicht mitspielen. Mein Bruder machte Hausaufgaben und meine Schwester spielte auf dem Boden mit Knete. Ich sagte beiden freundlich, dass sie rausgehen sollten. Mein Bruder tat es, aber meine Schwester wollte nicht. So zog ich einfach das Sofa aus und bezog es. Jetzt war praktisch das komplette Zimmer mit meinem Bett belegt und meine Schwester konnte gar nicht anders, als einfach raus zu gehen. Es hört sich zwar etwas unhöflich von mir an, aber ich war wirklich krank und konnte kaum noch sitzen.
Am Donnerstag kam zu dem ganzen noch Halsschmerzen und mitten in der Nacht eine Mittelohrentzündung hinzu, die mir glatt den Schlaf raubte. Sie war zum Glück nicht ziemlich stark und ich bekam am nächsten Tag von meiner Mutter direkt Medikamente. Sogar ein Antibiotikum musste ich nehmen, was in Russland anscheinen nicht verschreibungspflichtig ist. Ich vertraute aber hier einfach meiner Gastoma, die ja selbst Ärztin war und meiner Mutter sagte, sie hätte nichts falsch gemacht. Im Verlauf des Tages wurde es auch besser und am Abend hatte ich kaum mehr Schmerzen. Am Samstag war fast alles, abgesehen von meinen Halsschmerzen weg. So konnte ich auch ins Kino gehen, wozu mich mein Gastvater einlud. Wir gingen alle gemeinsam ins Madagaskar um uns den Film „Stalingrad“ anzuschauen. Das ist ein russischer Film (erster russischer 3D-Film) über die Schlacht um Stalingrad. In dem Film spielen auch Heiner Lauterbach und Thomas Kretschmann. Leider lief der Film in unserem Kino in 3D, trotzdem war es ein großartiger Film und die Deutschen wurden nicht als Schweine und Arschlöcher dargestellt, was mich positiv überraschte, da die Deutschen in anderen Filmen immer ziemlich schlecht dargestellt werden. Ein Großteil des Filmes war auch auf Deutsch und ein russischer Sprecher sprach einfach über das Gesagte. Alles in allem war es ein großartiger und berührender Film und ich kann nur hoffen, dass es dafür bald eine deutsche Synchronisation gibt.
Am Abend schauten wir noch den ersten Teil von den Heiligtümern des Todes (Harry Potter) im Fernsehen und dann ging es schlafen.
Am Sonntag wachte ich mal wieder ziemlich spät auf (ca. 11 Uhr). Meine Schwester kam ins Zimmer und meinte sofort, dass ich mich schnell umziehen sollte, da wir zu einem Geburtstag gehen sollten. Ich zog mich also um und mit kaum Essen im Magen machte ich mich auf den Weg mit meinen Geschwistern und meiner Mutter. Es war wieder ein Kindergeburtstag, diesmal jedoch noch schlechter als der letzte. Wir trafen uns wieder in einem Restaurant und es gab wieder genügend zu essen. Zum Glück waren Kirill und Julia (Cousine meines Bruders) da und so konnte es gar nicht so langweilig werden. Zeitgleich lief im Fernsehen noch Spiderman, den wir anfangs auch guckten. Nachher gingen wir noch spazieren und später nachmittags nach Hause. Da ich diesen Spiderman noch nicht geguckt hatte, schaute ich mir ihn zuhause bis zum Schluss an.

Jan Mathis Eckert




18. November 2013, 19:25

Die Rückreise

Am Sonntag wurden wir schon um drei Uhr nachts von unserer sibirischen Gastmutter geweckt, die anscheinend dachte, dass wir eine Stunde zum Umziehen und Essen brauchen. Wir waren schon nach fünfzehn Minuten fertig und verbrachten den Rest der Zeit erst einmal damit, wieder richtig wach zu werden, was trotz Kaffee ziemlich schwer fiel. Um kurz nach vier Uhr wurden wir von einem Taxi abgeholt und zur Schule gebracht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Auto zu keinem offiziellen Taxiunternehmen gehörte, sondern einem Einzelunternehmer. Der Fahrer hatte einen, für das kleine Auto, riesigen Subwoofer in den Kofferraum gebaut und, um den Radioempfang noch zu verbessern, eine neue, ziemlich große Antenne an der Kofferraumklappe befestigt. Wegen des Subwoofers passten unsere Taschen kaum in den Kofferraum und wegen der Antenne konnte man die Klappe auch nicht komplett öffnen, da diese sonst ans Dach stieß. Schließlich kriegten wir es doch geregelt und wir fuhren zur Schule. Wir waren die ersten am Bus, aber direkt nach uns kamen schon die nächsten. Nachdem wir die Taschen verstaut hatten, gingen wir in die Schule, in der viele auch übernachtet hatten. Ich sollte einige Essensvorräte in den Bus tragen und bekam dabei einen Chiller-Raum zu sehen. So etwas hätte ich auch gerne in Deutschland! Es gab viele Sitzkissen, ein Sofa, eine Wassersäule und noch allen möglichen Krimskrams. Leider konnte ich nicht lange drinnen bleiben, da wir bald abfuhren. Als alle Sachen im Bus verstaut waren, kamen die anderen Austauschschüler, unsere Betreuer und auch die Leute aus Ljantor, die mitgefahren waren und wir fuhren um fünf Uhr morgens los. Nach einer halben Stunde, in der sich noch einige unterhielten, wurde es langsam ruhiger. Als ich nach einer dreiviertel Stunde aus einem unruhigen Schlaf aufwachte, war es komplett still im Bus. Ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen kompletten Bus (abgesehen vom Busfahrer, der vom Blaulicht des vorfahrenden Polizeiwagens wachgehalten wurde) schlafend erlebte. Nach etwa einer Stunde kamen wir in Ljantor an, wo alle Leute aus dieser Stadt ausstiegen, und der erste traurige Abschied stattfand, da ich und die meisten anderen auch schon einige Freunde hier gefunden hatten. Dann fuhren wir weiter, bis wir alle in Surgut am Bahnhof ausstiegen. Unser Zug sollte um halb eins gehen. Die anderen Schüler verabschiedeten sich schon um zehn Uhr. Jetzt waren wir mit den AFSlern aus der Udmurtischen Republik alleine. Die aus Udmurtien hatten echt Pech, da sie noch fünfzehn Stunden warten mussten, während wir uns nach nur zwei Stunden, in denen noch fleißig Souvenirs eingekauft wurden, verabschiedeten. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hatte mich die Leiterin von AFS Surgut ins Herz geschlossen und ich wurde von ihr zum Abschied gedrückt und bekam noch vier Wangenküsse. Davon war ich erst einmal ziemlich überrumpelt, da ich es noch nicht so richtig geschnallt habe, dass man den Frauen zur Begrüßung und zum Abschied gewöhnlich Wangenküsse gibt.
Im Zug legte ich mich erst einmal hin, um die vielen traurigen Abschiede an diesem Tag zu verkraften.
In den nächsten 34 Stunden im Zug ernährte ich mich wieder von Fünf-Minuten-Terrinen und den Gebäckteilen, die meine Gastfamilie mir eingepackt hatte.
Am Montagabend kamen wir in Kasan auf dem Bahnhof an, wo wir uns von Victoria (Österreich) und Gäm (Thailand) verabschiedeten. Dann setzten wir uns wieder in den Zug und fuhren die restlichen zwei Stunden bis nach Kanasch. Dort wartete am Bahnhof eine Marschrutka auf uns, die uns mit nach Cheboksary nahm. Um kurz nach eins kam ich schließlich zuhause an und trotz der neugierigen Gesichter meiner Gasteltern legte ich mich sofort schlafen.

Jan Mathis Eckert




10. November 2013, 16:26

Verschiedene Kulturen und ziemlich viel Spaß...

Am nächsten Morgen wurden wir ziemlich früh geweckt ( ich musste mir immer denken, dass es für Euch erst 2:​30 Uhr ist, was sich echt fies anfühlte, da ich noch gerne länger geschlafen hätte). Wir frühstückten und gingen zur Schule. Draußen war es ziemlich warm (es taute, was anhand der Tatsache, dass es gestern -17 Grad kalt war, ziemlich unlogisch erscheint). Allerdings wehte ein ziemlich starker Wind. In der Schule wurden wir in Gruppen eingeteilt. Ich war in der grünen Gruppe und wir hatten am Anfang die Aufgabe, ein Theaterstück zu spielen. Zuerst spielten die Russen für uns das Theaterstück und dann durften wir selber spielen. Ich habe heute auch festgestellt, was für einen deutschen Akzent Ulli hat. Ich habe zwar auch einen leichten deutschen Akzent, aber sie spricht halt alle Wörter deutsch aus. Nach einer Dreiviertelstunde wurde gewechselt und wir kamen in eine Gruppe, wo uns gezeigt wurde, wie man früher in Russland gesponnen hat (genauso wie in Deutschland). Danach durften wir unsere eigene Matrjischka anmalen. Zum Glück wurde mir geholfen, sonst wäre ich an dieser feinen Kunst gescheitert. In dem nächsten Workshop lernten wir, wie man traditionelle Gürtel aus Fäden herstellt, die dazu gedrillt werden. Alles war ziemlich interessant, aber der nächste Workshop übertraf es alles, da wir unsere eigenen Blinis (Pfannkuchen) machen durften. Sie schmeckten ziemlich lecker.
Nach dem anschließenden Mittagessen, bei dem kaum einer Hunger hatte, gingen wir in die Aula und guckten bei einer Aufführung zu. Dort gab es eine Aufführung vom Schützenverein (oder was das auch hier ist), bei dem uns gezeigt wurde, wie man sich gegenseitig wirft und entwaffnet. Die Jugendgruppe zeigte auch noch, wie gut sie auf Befehl marschieren konnte. Am Schluss spielte noch ein kleines Balalaika-Orchester für uns. Danach wurden uns noch alle möglichen Messer und Säbel gezeigt, die man in Deutschland gar nicht hätte kaufen können. Danach wurde Volleyball in der Turnhalle gespielt. Nachmittags gingen wir zur Zentrale von "Surgutneftgas" (Surgut Öl und Gas). Dort wurden wir durch ein ziemlich langweiliges Museum geführt. Nachdem wir von dem Ausflug zurückkamen, zogen wir uns in der Schule um und aßen Abendbrot. Abends gingen wir zur Disko ins Dorfzentrum oder wie man das auch immer nennt.
Am Samstag mussten wir auch wieder ziemlich früh aufstehen, dafür war das Programm heute richtig toll. Nach dem Frühstück in der Schule, das nicht so ganz gut war, trafen wir uns wieder mit unseren Gruppen und wir, die Grünen, übten zum letzten Mal unser kleines Theaterstück ein. Abgesehen von einigen kleinen Fehlern und dass Ulli alle russischen Wörter deutsch aussprach, was sich ziemlich lustig anhörte. Danach begann für uns eine Rundtour durch verschiedene Kulturen Russlands und andere Kulturen benachbarter Länder. Zuerst ging ich mit meiner Gruppe zu den Tataren. Sie lebten in Tatarstan, einer Nachbarrepublik von Tschuwaschien, und waren Muslime. Wir setzten uns an einen Tisch, auf dem typisches tatarisches Essen stand. Dann wurde für uns getanzt und wir durften bei Spielen mitspielen, bei denen wir Tücher gewinnen konnten. Da ich bei einer Art Topfschlagen und beim Sackhüpfen mitmachte, bekam ich sogar zwei Tücher. Nach einer Dreiviertelstunde wurde gewechselt und wir kamen zu den Ukrainern. Auch hier wurde getanzt und wir bekamen ukrainisches Essen, was dem russischen ziemlich ähnlich ist. Dann sollten wir selber mittanzen. Ich merkte jetzt schon, dass ich etwas zuviel gegessen hatte. Nach den nächsten Stationen wurde es aber noch schlimmer. Bei der Präsentation der Russen sollte ich rausgehen und mir eine russische Tracht anziehen. Dann sollte ich mit Louna aus Frankreich tanzen. Anschließend wurde wieder gegessen. Auch bei den Armeniern war es nicht anders. Hier bekamen wir allerdings anstatt des typischen Tees einen schwarzen Kaffee vorgesetzt. Dann trugen kleine Kinder Gedichte vor oder sangen und tanzten.​.​. Sehr süß anzuschauen.
Bei den Kasachen mussten wir zuerst unsere Schuhe ausziehen, da es bei ihnen so Brauch war. Wir setzten uns auf einen Teppich um das Essen herum. Auch jetzt wurde wieder für uns getanzt und nach dem Essen war ich eindeutig satt und rührte auch das Mittagessen nicht an, das uns angeboten wurde.
Danach legten wir uns für eine Stunde zur Verdauung in unseren Raum und gingen danach in das Gemeindezentrum, wo neben der Disco auch noch eine Bühne war. Dort sollte auch die Aufführung unseres Theaterstückes stattfinden. Am Anfang sahen wir einen kurzen Film über das Camp, bevor es zur eigentlichen Aufführung ging. Wir waren nicht die einzigen mit unserem Theaterstück. Auch die anderen AFSler hatten etwas vorbereitet, wie z.​B. Volkstänze oder russische Lieder. Das Theaterstück verlief ziemlich gut, bis auf einige Versprecher von Ulli, die allerdings zu allgemeinen Belustigung des Publikums beitrugen. Selbst meine Gastmutter aus Surgut war gekommen. Leider war sie allerdings nachher schon weg, als ich mich nach der AFS-Hymne und dem Fotoshooting mit anschließender Lagebesprechung mit ihr unterhalten wollte. Nach der Aufführung gingen wir in die Schule, wo wir erst unsere eigene Meinung zum Lager auf einen Zettel schreiben sollten und dann in der Disco tanzen durften. Abends, als alle schon ziemlich müde und fertig waren, versammelten wir uns noch in einem Stuhlkreis und jeder Teilnehmer konnte seine Meinung über das Lager aussprechen. Wir bekamen noch eine DVD mit den Bildern und durften dann nach Hause gehen.

Jan Mathis Eckert




10. November 2013, 16:24

AK-47 und Schießstand

Am Dienstag wurde ich von meinem jetzigen Gastbruder ziemlich früh geweckt. Ich musste mich nämlich immer noch an die Zeit hier gewöhnen, die fünf Stunden vor der mitteleuropäischen Zeit liegt. Wir frühstückten und gingen in die Schule. Nachdem wir in der Garderobe unsere Jacken abgegeben hatten, gingen wir in die Sporthalle, in der wir Energizer machen, auf die keiner Lust hatte. Danach hatten wir ein kleines Frühstück in der Schule, bevor wir auf unsere Workshops aufgeteilt wurden. Zuerst hatten wir die Aufgabe, typisch russische Holzlöffel zu bemalen. Mir wurde gesagt, dass man von diesen Löffeln auch essen könnte und dass man es in den Dörfern auch noch tut. Aber irgendwie vertraue ich der Farbe nicht so richtig, die etwas verdächtig nach Lösungsmitteln roch. Mein Löffel war auch lange noch nicht so kunstvoll wie die Originale.
Nachdem wir unsere Löffel fertig bemalt hatten, gingen wir in den Keller der Schule, wo es wirklich einen Schießstand gab. Mir wurde erst gezeigt, wie man eine Kalaschnikov auseinander und zusammen baut und dann durfte ich es selbst versuchen. Die Russen machen das aber auf Zeit und ich war viel zu langsam. Dann durften wir aber selber mit Luftgewehren auf Zielscheiben schießen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben geschossen und trotzdem war ich mit zwanzig von dreißig Punkten der Beste. Selbst die Russen sagten, dass das schon ziemlich gut war, da alle Einschusslöcher im Umkreis eines halben Zentimeters waren.​.​. Und das aus über zehn Metern Entfernung! Nach dem Mittagessen versammelten wir uns in der Aula der Schule und das Bühnenprogramm begann. Zuerst hielten einige Leute Reden (darunter auch meine Gastmutter von der ersten Übernachtung in Surgut). Dann wurden alle möglichen russischen Tänze auf der Bühne aufgeführt und schließlich kamen wir auch auf die Bühne. Wir sollten uns kurz vorstellen und bekamen dann einen Rucksack mit kleinen Souvenirs. Am Ende der Aufführung mussten wir noch kurz auf die Bühne und unser jeweiliges Land vorstellen.
Abends gingen mein jetziger Gastbruder und ich kurz nach Hause, holten meine Badehose und gingen dann ins Schwimmbad, das es in unserer Schule auch gab. Es lief alles ziemlich streng dort ab. So durften wir erst nur fünf Minuten ins Wasser und mussten dann sofort wieder raus. Dann folgte ein Wettbewerb, bei dem man alle möglichen Sachen auf die andere Seite des Beckens transportieren musste. Da ich und Thordur die einzigen sportlichen im Team, umgeben von dicken Leuten, waren, verloren wir den Wettbewerb. Danach hatten wir kein Programm und gingen nach Hause.
Am nächsten Morgen trafen wir uns in der Schule und frühstückten. Danach brachten wir unsere Sachen in den Bus und fuhren nach Surgut. Dort hatten wir eine Führung durch die Universität, die extrem langweilig war. So wurde uns zum Beispiel die "tolle" Bibliothek gezeigt, die überhaupt nicht besonders war. In einem kleinen Lesesaal gab es ein Klavier, auf dem leider gespielt wurde: Es hörte sich schrecklich an, da es einfach total verstimmt war. Wenn man eine Taste herunter drückte, hörte man teilweise eine große Sekunde, obwohl es eigentlich ein Ton hätte sein sollen. Ziemlich genervt setzten wir uns wieder in den Bus und fuhren weiter.
Nach zwei Stunden Busfahrt kamen wir in Russinskaja an, einem kleinen Dorf, das ziemlich weit von der nächsten Stadt entfernt lag. Wir sollten für eine Nacht in einem Internat in dem Ort schlafen. Da die Kantine in der Schule wegen der Ferien geschlossen hatte, mussten wir in zwei Gruppen in ein Café im Dorf fahren. Das Essen war gewöhnungsbedürftig, da wir aber so hungrig waren, aßen wie es trotzdem auf. Da ich dringend aufs Klo musste, fragte ich nach der Toilette. Ich war etwas geschockt, als ich eine Stehtoilette sah.
Am Abend hatten wir noch einen Workshop, bei dem wir aus ein paar Stofffetzen eine Puppe herstellen sollten. Danach wurden wir von der Schulleiterin begrüßt, die mit uns Spiele, wie "Ich packe meinen Koffer", auf Russisch spielen wollte. Unser Russisch reichte dafür aber noch nicht aus und sie gab es schnell auf, es mit uns zu spielen. Danach spielten wir in der Turnhalle den Nationalsport: Lasso werfen und über Barrikaden hüpfen.
Am nächsten Tag machten wir uns früh auf, frühstückten und fuhren dann zu den Chanten, den ursprünglichen Einwohnern in dieser Region. Nach einer Stunde Fahrt durch die Waldtundra, oder wie auch immer diese Landschaft genannt wird, kamen wir auf einer ehemaligen Förderstation an. Dort warteten die Chanten auf uns und nahmen uns mit ihren Schneemobilen, an die sie Schlitten gehängt hatten, zu ihrem Dorf. Wir fuhren zwanzig Minuten durch den Wald und über zugefrorene Seen und kamen schließlich im Dorf an. Sie hielten eine Rentierherde und hatten ein Haus und einige Holzschuppen dort stehen. Wir gingen etwas herum und aßen schließlich mit den Chanten zu Mittag. Danach durfte jeder mit einem Schneemobil mitfahren und die Chanten drifteten damit über den zugefrorenen See. Es machte echt ziemlich Spaß. Danach wurden wir zurückgefahren und fuhren mit dem Bus los. Nachdem wir unsere Sachen aus dem Internat abgeholt hatten, begann eine fünfstündige Zugfahrt. Um 22 Uhr kamen wir in dem Dorf (19.​000 Einwohner) Nischnjesortimskij an. In der Schule wurden wir mit dem typisch russischen Brot mit Salz empfangen. Unsere Gastfamilien warteten mit Namensschildern auf uns und ich kam mit Bent (aus Mönchengladbach) in eine Familie. Es stellte sich heraus, dass meine Gastmutter Vorfahren aus Deutschland hatte und auch sonst gibt es hier relativ viele mit deutschen Nachnamen, wie z.​B. einen Jungen, der Schneider heißt. Allerdings können alle kein Deutsch. Sie können aber fast alle deutsche Schimpfwörter und hören Musik von einem russischen Rapper, der in Deutschland wohnt und auf Deutsch und Russisch rappt. Wir gingen relativ früh ins Bett.

Jan Mathis Eckert



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